Risiko für Klima-Kipppunkte deutlich gestiegen

Der von Dürren und Überschwemmungen geplagte Sommer 2022 hat gezeigt, welche Auswirkungen eine globale Erwärmung von nur 1,1 Grad hat. Eine umfassende wissenschaftliche Neubewertung kommt nun zu dem Schluss, dass mehrere kritische Ökosysteme Gefahr laufen, irreparabel geschädigt zu werden, selbst wenn die Nationen die Erwärmung auf 1,5 Grad begrenzen. Die Studie stellt Beweise dafür zusammen, dass größere Veränderungen im Klimasystem mit massiven ökologischen und gesellschaftlichen Folgen wahrscheinlich bei niedrigeren Temperaturen als bisher angenommen eintreten werden.

Die Forscher, die u.a. am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung arbeiten, analysierten globale und regionale Kipppunkte – Schwellenwerte, jenseits derer sich klimatische Veränderungen unwiderruflich manifestieren und verstärken. Die Autoren schlüsseln sie nach ihrer Empfindlichkeit gegenüber der Erwärmung auf und schätzen die Temperaturen, die sie auslösen werden, und die Zeiträume, in denen sie eintreten könnten, mit niedriger, mittlerer und hoher Wahrscheinlichkeit ein.

Das Überschreiten dieser Schwellenwerte ist nicht gleichbedeutend mit einem plötzlichen Sturz über eine Klippe, bei dem man plötzlich in Gefahr gerät. Vielmehr erhöht jedes Zehntelgrad Erwärmung die Wahrscheinlichkeit von Veränderungen, die sich selbst verstärken. Oder anders ausgedrückt: Jedes Zehntelgrad zählt.

Bei etwa 1,5 Grad könnten einige Kipppunkte erreicht werden, unter anderem für das Abschmelzen der grönländischen und westantarktischen Eisschilde, das beschleunigte Auftauen des borealen Permafrostbodens und das Absterben tropischer Korallenriffe. Die Autoren können jedoch nicht ausschließen, dass die Kipppunkte für die Eisschilde bereits überschritten sind und dass einige andere Kipp-Elemente Mindestschwellen im Bereich von 1,1 bis 1,5 Grad Erwärmung haben.

Mit einer weiteren Erwärmung wird die Liste noch länger: Das Tauen des winterlichen Meereis in der Barentssee, nördlich von Russland, könnte bei 1,6 Grad einen Schwellenwert überschreiten, das Abtauen der Alpengletscher bei 2 Grad und der Zusammenbruch der Meeresströmungen im Nordatlantik (Golfstrom) bei 1,8 Grad. In der Sahelzone könnte es bei 2,8 Grad zu erheblichen Störungen kommen, die zu einer Austrocknung Westafrikas oder einem Ergrünen der Sahara führen könnten.



Bei 3 Grad könnten die subglazialen Becken in der Ostantarktis instabil werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Absterben des Amazonas-Regenwaldes ausgelöst wird, wird bei rund 2 Grad “nicht vernachlässigbar” und steigt bei rund 3 Grad deutlich an.

Die Studie liefert starke wissenschaftliche Beweise für dringende Maßnahmen zur Abschwächung des Klimawandels. Selbst das Ziel des Pariser Abkommens, die Erwärmung auf deutlich unter 2 Grad und vorzugsweise bei 1,5 Grad zu begrenzen, schütz nicht vor dem Erreichen der Kipppunkte.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert